Digitale Massenvernichtungswaffe #Artikel13

Ich darf mich kurz vorstellen. Ich bin ein Urheber mit Schwerpunkt im visuellen Bereich. Ich bin Mitglied in der VG BildKunst und in der VG Wort. Ich habe einen Kunstverein und eine Galerie gegründet. Kunst ist meine Berufung. Nicht dagegen mein Beruf, der ist Rechtsanwalt, Bereich: Urheberrecht.

Seit Jahrzehnten beobachten wir eine zunehmende Verschärfung des Urheberrechts. Von einer Anpassung an das digitale Zeitalter ist in den letzten Jahren immer wieder die Rede. Verschiedene Gesetze wurden zu diesem Zweck erlassen, und nun soll eine weitere Reform Segen unter den sogenannten „Rechteinhabern“ verbreiten. Aber von einer Anpassung des Rechts an das digitale Zeitalter ist man dieses mal weiter entfernt, denn je. Im Gegenteil: nicht das Recht soll angepasst werden, das Internet soll sich ab 26. März 2019 anpassen, an jene überholten Vertriebsstrukturen, welche schon vor dem Internetzeitalter bestanden haben. Notfalls mit Gewalt, in Form von Uploadfiltern. 

Als das Tonbandgerät erfunden wurde, wollte die Medienindustrie es verbieten, denn es bedrohte ihre Umsatzzahlen. Der Gesetzgeber entschied sich für die Einführung des Rechts auf Privatkopie (§ 53 UrhG) und gewährte den Urhebern gleichzeitig Entschädigung über die Verwertungsgesellschaften, welche Abgaben von den Herstellern von Tonbändern und Tonbandgeräten an Verlage und Urheber ausschüttet. Heute geschieht dies auch im digitalen Bereich, Urheber, die Werke im Netz haben, erhalten über die Verwertungsgesellschaften Tantiemen dafür.

Allerdings ist das unbefriedigend. Denn damit werden nur die erlaubten Nutzungen durch Konsumenten erfasst, die von ihren Recht auf Privatkopie Gebrauch machen, wenn sie beispielsweise ein Foto im Internet herunterladen, um es als Desktophintergrund zu nutzen. Streaming wird davon schon nicht mehr erfasst, da hier kein Download statt findet (der reine Konsum eines Werkes ist keine Verwertungshandlung). Das gleiche gilt für alle übrigen Nutzungen auf Webseiten. Denn öffentlich zugängliche Nutzungen sind keine Privatkopien. In der Folge erhalten die Urheber nur geringe Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften. Hier will Artikel 13 Abhilfe schaffen.

Aber Abhilfe wogegen? Sind die Urheber nicht gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet geschützt? Im Grunde ja, denn gegen unautorisierte Nutzungen auf Webseiten können Urheber schon heute vorgehen. Sie haben Ansprüche auf Auskunft, Unterlassung, Schadensersatz und Erstattung von Abmahnkosten (§§ 97 und 97a UrhG).

Aber was ist mit den großen Internetplattformen wie Youtube, Facebook und Co.? Die haften auch heute schon für Urheberrechtsverletzungen, aber erst, sobald sie von einer Urheberrechtsverletzung erfahren. Dazu hat sich das sogenannte „Notice and Takedown“ Verfahren etabliert. Wenn ein Rechteinhaber von einer Urheberrechtsverletzung erfährt, kann er die Plattform davon informieren und die Löschung verlangen. Reagiert die Plattform nicht, kann sie abgemahnt und notfalls auch gerichtlich in Anspruch genommen werden.

Und was will man nun mit Artikel 13 erreichen? Man will, dass die Plattformen, auf denen Nutzer eigenen Content hochladen, für das Verhalten der Nutzer genauso haften, als hätten sie den Upload selbst durchgeführt, und zwar schon vor der Kenntnisnahme. Davon würden aber nicht nur die Internetgiganten betroffen sein, sondern ebenso eine Vielzahl kleiner Plattformen, Netzwerke und Internetforen. 

Bislang war jeder Nutzer selbst für seine Uploads verantwortlich und die Plattform haftete nur unter bestimmten Voraussetzungen (siehe oben). Das ist eigentlich eine faire Lösung, denn der Plattformbetreiber stellt nur ein Werkzeug zur Verfügung, mit dem User Inhalte im Netz teilen. Genauso wenig, wie der Messerverkäufer für einen vom Käufer begangenen Mord haftet, kann Youtube für eine von Nutzern begangene Urheberrechtsverletzungen belangt werden.

Nutzergenerierte Inhalte machen einen Großteil des Internets aus. Früher war der Zugang zur Öffentlichkeit nur einem beschränkten Kreis der Gesellschaft vorbehalten. Im Fernsehen waren Sendeplätze begrenzt und teuer und nicht jeder konnte einen eigenen Fernsehsender betreiben. Heute geht das aber, dank zahlreicher Internetplattformen. Broadcast yourself – diese Möglichkeit hat unsere Welt für immer verändert. Während früher nur eine Hand voll Medienprofies Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen konnten, sind heute alle Bürger dazu in der Lage. Die Plattformen sind zu einem elementaren Faktor der Meinungsbildung und Informationsbeschaffung geworden.

Artikel 13 wird also nicht nur ein bewährtes Haftungssystem auf den Kopf stellen und nutzergenerierte Inhalte unterdrücken. Er schränkt damit Meinungs- und Informationsfreiheit ein. Das bedeutet weniger Demokratie und (noch) mehr Überwachung. Schon die gegenwärtigen Überwachungsmöglichkeiten hätten jedem Stasi-Offizier feuchte Träume beschert. Aber das reicht wohl noch nicht, jetzt soll auch jeder einzelne Upload überwacht und zensiert werden können. Die Netzgemeinde ist empört. Ihr heftiger Gegenwind hat bereits Orkanstärke erreicht. Die Kampagne „Stop the censorship machinery – Save the Internet!“ ist die größte Petition in der Geschichte von change.org. Aber auch auf der höchsten Ebene sieht man die Demokratie in Gefahr. Die Vereinten Nationen in Genf fordern die Europäische Union auf, die internationalen Menschenrechtsstandards zu erfüllen. Sie sehen die geplanten Einschränkungen durch Artikel 13 als einen nicht mehr zu rechtfertigenden Eingriff in die Meinungsfreiheit. Das würde bedeuten, dass Artikel 13 in den meisten Mitgliedsstaaten verfassungswidrig wäre. Ähnlich dramatisch fällt das Urteil von Urheberrechts- und Medienexperten aus.

Trotzdem will man Artikel 13 mit aller Macht erzwingen. Gewalt schafft Recht. Die Internetgiganten sind keine Kämpfer für Menschenrechte und bis zum Verfassungsgericht ist es ein langer und steiniger Weg. Wenn Artikel 13 kommt, kommen auch die Uploadfilter und die meisten Plattformen werden nachrüsten. Bis irgendwann mal ein Verfassungsgericht die Einschätzung der Menschenrechtsexperten bestätigt, ist es längst zu spät und die Massenvernichtungswaffe für nutzergenerierte Inhalte auf allen Plattformen installiert.

Um dieses Ziel zu erreichen, ist den Lobbyvertretern kein Trick zu schmutzig. Mit der Kampagne „yes2copyright“, mit der Befürworter der Internetzensur ihre Tweets moralisch aufladen, wird impliziert, dass Gegner von Artikel 13 auch Gegner des Urheberrechts seien. Artikel 13 wird damit als alternativlos hingestellt. Im EU-Parlament haben die Lobbyisten sogar versucht, die Abstimmung vorzuziehen und damit den heftigen demokratischen Widerstand im Keim zu ersticken. Und schließlich werden mal wieder – wie bei fast jeder Verschärfung des Urheberrechts – die Namen der Urheber missbraucht. Die armen Urheber, die nicht angemessen vergütet werden. Man spielt mit Emotionen, mit dem Bild des brotlosen Künstlers, der in prekären Verhältnissen dahin vegetiert. Sicher, es ist richtig, wer von seiner Kreativität allein leben will, hat es nicht einfach in unserer Welt. Nur etwa 5 Prozent der Künstler können von ihrer Kunst leben. Aber daran wird Artikel 13 nichts ändern. Es geht auch überhaupt nicht um die Künstler. Die Lobby der Medienindustrie ist in Wirklichkeit diejenige, die ihre Hand aufhält. Diese ständigen Wegelagerer wollen ihre unzeitgemäßen Verwertungsstrukturen bis in alle Ewigkeit konservieren und der Medienwirtschaft Umsatzzahlen sichern. Das die Urheberinteressen (mal wieder) nur vorgeschoben sind, beweist Artikel 12. Er korrigiert eine urheberfreundliche Rechtsprechung zugunsten der Medienindustrie. Jahrzehntelang hatten Verwertungsgesellschaften an Verlage Gelder ausgeschüttet, die eigentlich den Urhebern gehörten. Der Bundesgerichtshof hatte dem 2016 einen Riegel vorgeschoben. Und Artikel 12 soll diese Entscheidung jetzt wieder rückgängig machen und die Bereicherung der Medienindustrie auf Kosten der Urheber legalisieren. 

Es geht somit keineswegs um die Urheber – sie dienen nur als trojanisches Pferd. Das hat schon oft funktioniert.

Man könnte jetzt noch darauf eingehen, dass Uploadfilter überhaupt nicht in der Lage sind, Urheberrechtsverletzungen zu erkennen und Artikel 13 zu einem Overblocking führt. Das betrifft vor allem Parodien und Zitate geschützter Werke. Wann eine Parodie oder ein Zitat erlaubt sind, können nicht einmal Anwälte und Richter in jedem Fall zweifelsfrei bestimmen. Wie soll dies ein Algorithmus leisten können? Wie soll eine Plattform dazu in der Lage sein, wenn sie nicht einmal urheberrechtsfreie Inhalte zu identifizieren vermag und Public Domain zugunsten imaginärer Rechteinhaber monetarisiert?

Ob nun auf technischer oder (verfassungs)rechtlicher Ebene – Artikel 13 ist nicht umsetzbar. Und er hilft den Urhebern nicht. Im Gegenteil: er schränkt die Kunstfreiheit noch weiter ein. Er macht es Kreativen noch schwieriger als bisher, kulturelles Erbe in ihre Arbeit einzubeziehen und sich mit aktuellen Themen auseinander zu setzen. Auch die Kunstfreiheit ist ein Grundrecht. Und auf eine Anpassung der Kunstfreiheit an das digitale Zeitalter warten wir nun schon, seit wir das Internet nutzen. Passiert ist nichts. Und so hat sich eine parallele Rechtsordnung entwickelt. Das Netz hat sich selbst reguliert. Mit Creative Commons und anderen Open Content Modellen. Das sind Lizenzmodelle, welche die vom derzeitigen Urheberrecht ausgehende Blockade der Kunstfreiheit aushebeln. Sicher wäre es wünschenswert, wenn auch der Gesetzgeber sich davon inspirieren ließe. Die Open Content Bewegung ist aus einem intuitiven Prozess heraus entstanden. Sie ist die Stimme des Herzens, das nach kreativer Entfaltung strebt. Das kreative Herz möchte sich von den rostigen Ketten urheberrechtlicher Monopole befreien.

Das Urheberrecht von heute ist ein ganzes Wirrwar von Ketten. Wen wir wirklich ein modernes Urheberrecht wollen, sollten wir diese Ketten auf den Prüfstand stellen, und nur das behalten, was wir wirklich brauchen. Wir sollten diskutieren über gesetzliche Lizenzen anstelle von Verbotsrechten, über Fair Use, über Lichtbildschutz, über starren Melodienschutz, über Memes, Remixes und Netzkultur. Und natürlich auch über fortschrittliche Wege, kreative Leistungen zu vergüten. Diesen Fragen stellt sich die aktuelle Urheberrechtsreform nicht. Sie beschäftigt sich nur mit der Frage, wie man Überleben und Dominanz von Dinosauriern in unserer Medienlandschaft sichern kann.

Mit einem modernen Urheberrechts hat das nichts zu tun. 

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